Mit dem Blick der Barmherzigkeit
Aspekte der Gefangenenpastoral
Zusammenfassung
In diesem Jahr blicke ich zurück auf „25 Jahre Gefangenenseelsorge“ – ein „Vierteljahrhundert Knasterfahrung“ mit dem dienstlich bedingten Schwerpunkt der seelsorgerlichen Begleitung erwachsener Männer, die zu sehr langen oder lebenslangen Haftstrafen verurteilt wurden und im niedersächsischen Celle einsitzen, manchmal mehrere Jahrzehnte lang, in einer Anstalt der höchsten Sicherheitsstufe. Nicht einen Tag davon war ich selbst eingesperrt und konnte mich „hinter den Mauern und Gittern“ der Anstalten, die ich besucht habe, den Umständen entsprechend frei bewegen, anders als die große Zahl von Männern und Frauen, jungen Erwachsenen und Jugendlichen, welche ich seit 1989 auch in anderen Gefängnissen getroffen habe, nicht nur in Deutschland, sondern auch in zahlreichen weiteren Ländern Europas und in einigen Staaten der anderen Kontinente.
Dabei habe ich das ganze Spektrum verschiedener Haftformen erlebt und bin Menschen unter ganz unterschiedlichen persönlichen und „vollzuglichen“ Lebensumständen begegnet: in Untersuchungshaft, in Strafhaft, Abschiebehaft, Sicherheitsverwahrung, im Jugendvollzug, in einer Mutter-Kind-Station, am Bett oder auf dem blanken Boden einer Krankenstation oder in einer gut gesicherten forensischen Abteilung, in Einzelzellen mit Doppelvergitterung und Lüftungsschlitzen oder – wie in einigen Ländern in Mittel- und Osteuropa – in völlig überbelegten Räumen, die zum Teil nicht einmal Fenster hatten. Die betreffenden Personen waren angeklagt oder verurteilt wegen ganz verschiedener Straftaten, manchmal inhaftiert, obwohl keine Straftaten begangen wurden, aus politischen oder aus Gewissensgründen, wegen ihres Glaubens inhaftiert oder weil sie auf die Abschiebung warten mussten. Gemeinsam hatten alle, dass ihnen die Freiheit genommen war. Jede Person war anders, hinter „jedem Fall“ stand ein Mensch mit eigener Würde und standen Angehörige mit einer eigenen Geschichte. Hier zu unterscheiden und mitzuwirken bei einer Sache, die eigentlich in der Gesamtverantwortung möglichst vieler Menschen in Kirche, Staat und Gesellschaft stehen sollte, nämlich alles zu tun, dass der „Freiheitsentzug nicht zu einer Zeit sozialer Vergeltung verkürzt wird“, scheint mir gerade im Hinblick auf die Gefangenenpastoral1 wesentlich zu sein. Wer das so sagt, ist kein Geringerer als der heilige Papst Johannes Paul II., und er führt aus, dass „die Vertreter der öffentlichen Gewalt, die in Erfüllung einer gesetzlichen Bestimmung einen Menschen der persönlichen Freiheit berauben, indem sie eine mehr oder weniger lange Zeit seines Lebens gleichsam in Klammern setzen, wissen müssen, dass sie nicht Herren der Zeit des Gefangenen sind“, welche – auch im Gefängnis – Gott allein gehört und – trotz aller widrigen Umstände – eine Möglichkeit bietet, „die menschliche Gerechtigkeit am Maßstab der Gerechtigkeit Gottes zu prüfen“2 – ein wichtiges Programmwort, wenn man im Kontext von Theologie und kirchenamtlichen Stellungnahmen im Hinblick auf die Pastoral mit inhaftierten Menschen nach Orientierung sucht.
Zu meinen Aufgaben gehörte von 1999 - 2011 auch der Dienst in der internationalen Gefangenenpastoral, eine Zeit, die mir gerade in Mittel- und Osteuropa die Lebenswirklichkeit von Menschen vor Augen geführt hat, die in vielen Fällen nicht den Bedingungen entsprach, die man an einen rechtsstaatlich verfassten „humanen Strafvollzug“ stellen muss, von einer Vereinbarkeit dieser Wirklichkeit mit einem „christlichen Menschenbild“ ganz zu schweigen. Niemand sollte sich anmaßen, über andere zu richten, ohne sich selbst der eigenen Verantwortung und Schuld bewusst zu werden, die nachdrücklich im Gleichnis von Jesus und der Ehebrecherin zur Sprache kommt: „Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie“ (Joh 8,7).3 Wir sind gut beraten, mehr Zurückhaltung zu üben, wenn es um die Zurechnung des Maßes der Schuld bei anderen Menschen geht – im theologischen, psychologischen, aber auch im juristischen Sinne.
Strafvollzug ist nicht Strafvollzug und unterscheidet sich von Land zu Land sehr voneinander, entsprechend der historischen, kulturellen oder religiösen Tradition oder der aktuellen gesellschaftspolitischen Situation mit ihren mehr oder weniger kaschierten machtpolitischen Interessen. All diese Faktoren haben Einfluss auf die Art und Weise, welchen Stellenwert man den Menschen in Haft im sozialen Kontext eines Landes zuschreibt, und darauf, welches Menschenbild das Meinungs- und Stimmungsbild der breiten Mehrheit („draußen“) über die ausgegrenzte Minderheit („drinnen“) bestimmt. Welches Bild machen wir uns von diesen Menschen? Ich kann versichern, dass ich in der Realität nicht eine einzige Person getroffen habe, auf die eine der Rollen passen würde, die uns in den gängigen TV-Serien zur Unterhaltung zugemutet werden, in der Regel aber einfach nur albern sind.4
Nicht selten werden die „Mindestgrundsätze für die Behandlung der Gefangenen“5, wie sie 1955 in Genf vom Ersten Kongress der Vereinten Nationen für Verbrechensverhütung und die Behandlung Straffälliger angenommen wurden, in der Praxis wenig beachtet. Die Realität des Vollzugsalltags löst in vielen Fällen das nicht ein, was in den 95 Artikeln (in denen übrigens auch das Recht der freien Religionsausübung formuliert wird) als Minimalanspruch für die menschenwürdige Behandlung inhaftierter Personen eingefordert wird. Darin werden Kriterien formuliert, die zur Revision der staatlichen Gesetzgebung führen sollten, beispielsweise im Hinblick auf die Unterbringung, Verpflegung, Gesundheitsfürsorge, Disziplinar- und Zwangsmaßnahmen, Informationspflicht und Beschwerdeverfahren, den Verkehr mit der Außenwelt, kulturelle Bildung und freie Religionsausübung. In Europa sind diese Grundsätze in überarbeiteter Form seit 1987 als die „Europäischen Strafvollzugsgrundsätze“ (European Prison Rules) in Geltung und werden als Standards auch bei der Überprüfung der Strafvollzugssysteme in Mittel- und Osteuropa herangezogen, deren Umbau auch 25 Jahre nach den dortigen politischen Umwälzungen noch immer nicht abgeschlossen ist. Die Achtung der Würde und der Grundrechte einer jeden Person sowie die entsprechende „Anpassung der Gefängnisstrukturen und Revision der Strafgesetzgebung“, die Johannes Paul II. einforderte, decken sich in weiten Teilen mit den zentralen Aussagen der länderübergreifenden Vereinbarungen und sind den Verhältnissen entsprechend immer wieder neu einzufordern und umzusetzen, gerade auch von kirchlicher Seite, die sich aufgrund theologischer Vorgaben und einer entsprechenden Soziallehre der Anwaltschaft für die „Armen und Ausgeschlossenen“ besonders verpflichtet weiß. Zu deren „gesellschaftlicher Eingliederung“ gehören eben auch die Gefangenen (Resozialisierung), wie es in besonderer Weise das jüngste apostolische Schreiben von Papst Franziskus, „Evangelii Gaudium“ (2013), klar formuliert.6 Seine eindrucksvollen direkten Begegnungen mit inhaftierten Menschen selbst sprechen in diesem Fall für sich.
Hervorgehoben unter den diversen Besuchen von Päpsten im Gefängnis, meistens im römischen Untersuchungshaft-Gefängnis „Regina Coeli“7 (Johannes XXIII. war hier am Fest des Heiligen Stephanus 1958 oder Paul VI. zu Ostern 1964), werden der Besuch von Johannes Paul II. in der Zelle seines Attentäters Ali Ağca nach dem Mordanschlag im Jahre 1983 sowie sein Besuch im Rahmen der Eucharistiefeier des Heiligen Jahrs 2000; aber auch die weniger beachteten Visiten Papst Benedikts XVI. (in den Jahren 2007 und 2011) sind – vor allem in pastoraler und theologischer Hinsicht – nicht weniger bedeutsam. Seine Ansprachen enthalten bereits alles, was sein Nachfolger Franziskus dann unmittelbar nach seinem Amtsantritt im März 2013 nach dem Vorbild Jesu in der Kapelle „Padre Misericordioso“ des Jugendgefängnisses „Casal del Marmo“ im Ritus der Fußwaschung von 12 jungen Frauen und Männern unterschiedlicher Nationalität und Religion aufgreift und als zentrales Anliegen seines Pontifikats deutlich macht. Es geht um die direkte Hinwendung zu leidenden und ausgeschlossenen Menschen, wie sie in der „großen Gerichtsrede“ im Matthäusevangelium angesprochen wird (Mt 25,36 ff.): „Wo immer ein Gefangener ist, da ist auch Christus da, der auf uns und auf unsere Hilfe wartet.“8 Kirchenamtliche Verkündigung, christlich-theologische Reflexion und menschliche Praxis kommen hier zusammen.
Menschen im Gefängnis zu besuchen, ist nicht nur als „karitativer Akt“ zu den „Werken der Barmherzigkeit“ zu zählen (Hungrige speisen, Durstigen zu trinken geben, Fremde beherbergen, Nackte kleiden, Kranke pflegen, Gefangene besuchen, Tote bestatten), sondern wird als reales Sein und Erfahrung der Christusbegegnung qualifiziert, womit also – wie es bereits Karl Rahner 1956 formuliert hat – eine reale Begegnung mit dem Gottessohn und keinesfalls nur eine „großartige himmlische Fiktion“ gemeint ist, so „als ob“ wir Christus in den Gefangenen begegnen könnten. In Rahners Worten: „Jesus verwirft unseren ganzen Realismus als unwirklich. Er identifiziert sich nicht in einer juridischen Fiktion mit diesen Menschen, sondern so, dass wir in aller Wahrheit ihm in diesen Menschen begegnen.“9 Welche Konsequenzen zieht das nach sich?
Ich habe nicht den Eindruck, dass diesem theologischen und kirchenamtlichen Anspruch in der pastoralen Wirklichkeit ausreichend Rechnung getragen würde, wenn es darum geht, den Bereich der Gefangenenpastoral (entsprechend etwa der nachhaltiger geförderten Pastoral für Kranke, Migranten oder auch für Seeleute) als zentrales pastorales Anliegen der Kirche zu begreifen und adäquat – und das heißt meiner Meinung nach entsprechend zentral von Rom aus – zu strukturieren.10 Gerade die Ortskirchen in Mittel- und Osteuropa, in diesen Fragen oft auf sich allein gestellt, werden die Umsetzung anderer pastoraler Anliegen manchmal höher einstufen, was allerdings wenig über ihre theologische „Rangfolge“ aussagen muss.
Eine entsprechende „Sorge um die Gefangenenseelsorge“, der man allzu oft nur ein pastorales Nischendasein einräumt (etwa im Schatten der Militärseelsorge oder gar der Polizeiseelsorge), wird als umso berechtigter erkannt, wenn man der theologischen Relevanz der Sache im Blick auf den einzelnen Menschen die kalte Statistik gegenüberstellt, hinter der sich das millionenfache Leid und die himmelschreiende Ungerechtigkeit gesellschaftlicher Ausgrenzung leicht verbergen lässt und hinter der der einzelne Mensch vollends verschwindet.11 Karl Rahners Ausführungen, die in unserem Zusammenhang von großer Wichtigkeit sind, helfen, den unbedingten Wert und die Würde der einzelnen Person im Auge zu behalten, und finden in den kirchenamtlichen Texten eine Bestätigung. Sie haben darüber hinaus auch noch 30 Jahre nach seinem Tod Bedeutung für das Selbstverständnis der Gefangenenpastoral und das damit verbundene Berufsbild des Gefangenenseelsorgers. Sie erschöpft sich nicht in bloßer Sozial- oder Projektarbeit, sondern findet ihr theologisches Proprium dort, wo sie den Menschen vermittelt, dem Gefangenen trotz aller „schicksalsbedingten Abläufe aus … Vererbung, Erziehung, Milieu, verborgener Krankheit, Psychopathologien, ja selbst noch hindurch durch wahre wirkliche Schuld … wirklich mit ehrfürchtiger Demut zu begegnen, die eigentlich uns in uns selbst auch keine höhere Würde und heiligere Berufung erkennen lassen kann, als sie in diesem anderen ist“.12
Der Blick auf den Gefangenen „mit den Augen der Barmherzigkeit“ drückt mehr aus als nur bloßes Mitleid oder ein altruistisches Interesse und macht frei, Christus selbst in den Gefangenen wahrhaftig zu erkennen, mit denen er bekanntlich am Ende seines irdischen Lebens das Schicksal von Inhaftierung, Verurteilung und Vollstreckung der Strafe geteilt hat (Lk 23,39-43). Die darstellende Kunst hat dieses Motiv immer wieder aufgegriffen und gibt uns Hinweise zu theologischen Unterscheidungen, die auch die emotional geführte Debatte um „Opfer und Täter“ versachlichen kann. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen.
In diesem Jahr blicke ich zurück auf „25 Jahre Gefangenenseelsorge“ – ein „Vierteljahrhundert Knasterfahrung“ mit dem dienstlich bedingten Schwerpunkt der seelsorgerlichen Begleitung erwachsener Männer, die zu sehr langen oder lebenslangen Haftstrafen verurteilt wurden und im niedersächsischen Celle einsitzen, manchmal mehrere Jahrzehnte lang, in einer Anstalt der höchsten Sicherheitsstufe. Nicht einen Tag davon war ich selbst eingesperrt und konnte mich „hinter den Mauern und Gittern“ der Anstalten, die ich besucht habe, den Umständen entsprechend frei bewegen, anders als die große Zahl von Männern und Frauen, jungen Erwachsenen und Jugendlichen, welche ich seit 1989 auch in anderen Gefängnissen getroffen habe, nicht nur in Deutschland, sondern auch in zahlreichen weiteren Ländern Europas und in einigen Staaten der anderen Kontinente.
Dabei habe ich das ganze Spektrum verschiedener Haftformen erlebt und bin Menschen unter ganz unterschiedlichen persönlichen und „vollzuglichen“ Lebensumständen begegnet: in Untersuchungshaft, in Strafhaft, Abschiebehaft, Sicherheitsverwahrung, im Jugendvollzug, in einer Mutter-Kind-Station, am Bett oder auf dem blanken Boden einer Krankenstation oder in einer gut gesicherten forensischen Abteilung, in Einzelzellen mit Doppelvergitterung und Lüftungsschlitzen oder – wie in einigen Ländern in Mittel- und Osteuropa – in völlig überbelegten Räumen, die zum Teil nicht einmal Fenster hatten. Die betreffenden Personen waren angeklagt oder verurteilt wegen ganz verschiedener Straftaten, manchmal inhaftiert, obwohl keine Straftaten begangen wurden, aus politischen oder aus Gewissensgründen, wegen ihres Glaubens inhaftiert oder weil sie auf die Abschiebung warten mussten. Gemeinsam hatten alle, dass ihnen die Freiheit genommen war. Jede Person war anders, hinter „jedem Fall“ stand ein Mensch mit eigener Würde und standen Angehörige mit einer eigenen Geschichte. Hier zu unterscheiden und mitzuwirken bei einer Sache, die eigentlich in der Gesamtverantwortung möglichst vieler Menschen in Kirche, Staat und Gesellschaft stehen sollte, nämlich alles zu tun, dass der „Freiheitsentzug nicht zu einer Zeit sozialer Vergeltung verkürzt wird“, scheint mir gerade im Hinblick auf die Gefangenenpastoral1 wesentlich zu sein. Wer das so sagt, ist kein Geringerer als der heilige Papst Johannes Paul II., und er führt aus, dass „die Vertreter der öffentlichen Gewalt, die in Erfüllung einer gesetzlichen Bestimmung einen Menschen der persönlichen Freiheit berauben, indem sie eine mehr oder weniger lange Zeit seines Lebens gleichsam in Klammern setzen, wissen müssen, dass sie nicht Herren der Zeit des Gefangenen sind“, welche – auch im Gefängnis – Gott allein gehört und – trotz aller widrigen Umstände – eine Möglichkeit bietet, „die menschliche Gerechtigkeit am Maßstab der Gerechtigkeit Gottes zu prüfen“2 – ein wichtiges Programmwort, wenn man im Kontext von Theologie und kirchenamtlichen Stellungnahmen im Hinblick auf die Pastoral mit inhaftierten Menschen nach Orientierung sucht.
Zu meinen Aufgaben gehörte von 1999 - 2011 auch der Dienst in der internationalen Gefangenenpastoral, eine Zeit, die mir gerade in Mittel- und Osteuropa die Lebenswirklichkeit von Menschen vor Augen geführt hat, die in vielen Fällen nicht den Bedingungen entsprach, die man an einen rechtsstaatlich verfassten „humanen Strafvollzug“ stellen muss, von einer Vereinbarkeit dieser Wirklichkeit mit einem „christlichen Menschenbild“ ganz zu schweigen. Niemand sollte sich anmaßen, über andere zu richten, ohne sich selbst der eigenen Verantwortung und Schuld bewusst zu werden, die nachdrücklich im Gleichnis von Jesus und der Ehebrecherin zur Sprache kommt: „Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie“ (Joh 8,7).3 Wir sind gut beraten, mehr Zurückhaltung zu üben, wenn es um die Zurechnung des Maßes der Schuld bei anderen Menschen geht – im theologischen, psychologischen, aber auch im juristischen Sinne.
Strafvollzug ist nicht Strafvollzug und unterscheidet sich von Land zu Land sehr voneinander, entsprechend der historischen, kulturellen oder religiösen Tradition oder der aktuellen gesellschaftspolitischen Situation mit ihren mehr oder weniger kaschierten machtpolitischen Interessen. All diese Faktoren haben Einfluss auf die Art und Weise, welchen Stellenwert man den Menschen in Haft im sozialen Kontext eines Landes zuschreibt, und darauf, welches Menschenbild das Meinungs- und Stimmungsbild der breiten Mehrheit („draußen“) über die ausgegrenzte Minderheit („drinnen“) bestimmt. Welches Bild machen wir uns von diesen Menschen? Ich kann versichern, dass ich in der Realität nicht eine einzige Person getroffen habe, auf die eine der Rollen passen würde, die uns in den gängigen TV-Serien zur Unterhaltung zugemutet werden, in der Regel aber einfach nur albern sind.4
Nicht selten werden die „Mindestgrundsätze für die Behandlung der Gefangenen“5, wie sie 1955 in Genf vom Ersten Kongress der Vereinten Nationen für Verbrechensverhütung und die Behandlung Straffälliger angenommen wurden, in der Praxis wenig beachtet. Die Realität des Vollzugsalltags löst in vielen Fällen das nicht ein, was in den 95 Artikeln (in denen übrigens auch das Recht der freien Religionsausübung formuliert wird) als Minimalanspruch für die menschenwürdige Behandlung inhaftierter Personen eingefordert wird. Darin werden Kriterien formuliert, die zur Revision der staatlichen Gesetzgebung führen sollten, beispielsweise im Hinblick auf die Unterbringung, Verpflegung, Gesundheitsfürsorge, Disziplinar- und Zwangsmaßnahmen, Informationspflicht und Beschwerdeverfahren, den Verkehr mit der Außenwelt, kulturelle Bildung und freie Religionsausübung. In Europa sind diese Grundsätze in überarbeiteter Form seit 1987 als die „Europäischen Strafvollzugsgrundsätze“ (European Prison Rules) in Geltung und werden als Standards auch bei der Überprüfung der Strafvollzugssysteme in Mittel- und Osteuropa herangezogen, deren Umbau auch 25 Jahre nach den dortigen politischen Umwälzungen noch immer nicht abgeschlossen ist. Die Achtung der Würde und der Grundrechte einer jeden Person sowie die entsprechende „Anpassung der Gefängnisstrukturen und Revision der Strafgesetzgebung“, die Johannes Paul II. einforderte, decken sich in weiten Teilen mit den zentralen Aussagen der länderübergreifenden Vereinbarungen und sind den Verhältnissen entsprechend immer wieder neu einzufordern und umzusetzen, gerade auch von kirchlicher Seite, die sich aufgrund theologischer Vorgaben und einer entsprechenden Soziallehre der Anwaltschaft für die „Armen und Ausgeschlossenen“ besonders verpflichtet weiß. Zu deren „gesellschaftlicher Eingliederung“ gehören eben auch die Gefangenen (Resozialisierung), wie es in besonderer Weise das jüngste apostolische Schreiben von Papst Franziskus, „Evangelii Gaudium“ (2013), klar formuliert.6 Seine eindrucksvollen direkten Begegnungen mit inhaftierten Menschen selbst sprechen in diesem Fall für sich.
Hervorgehoben unter den diversen Besuchen von Päpsten im Gefängnis, meistens im römischen Untersuchungshaft-Gefängnis „Regina Coeli“7 (Johannes XXIII. war hier am Fest des Heiligen Stephanus 1958 oder Paul VI. zu Ostern 1964), werden der Besuch von Johannes Paul II. in der Zelle seines Attentäters Ali Ağca nach dem Mordanschlag im Jahre 1983 sowie sein Besuch im Rahmen der Eucharistiefeier des Heiligen Jahrs 2000; aber auch die weniger beachteten Visiten Papst Benedikts XVI. (in den Jahren 2007 und 2011) sind – vor allem in pastoraler und theologischer Hinsicht – nicht weniger bedeutsam. Seine Ansprachen enthalten bereits alles, was sein Nachfolger Franziskus dann unmittelbar nach seinem Amtsantritt im März 2013 nach dem Vorbild Jesu in der Kapelle „Padre Misericordioso“ des Jugendgefängnisses „Casal del Marmo“ im Ritus der Fußwaschung von 12 jungen Frauen und Männern unterschiedlicher Nationalität und Religion aufgreift und als zentrales Anliegen seines Pontifikats deutlich macht. Es geht um die direkte Hinwendung zu leidenden und ausgeschlossenen Menschen, wie sie in der „großen Gerichtsrede“ im Matthäusevangelium angesprochen wird (Mt 25,36 ff.): „Wo immer ein Gefangener ist, da ist auch Christus da, der auf uns und auf unsere Hilfe wartet.“8 Kirchenamtliche Verkündigung, christlich-theologische Reflexion und menschliche Praxis kommen hier zusammen.
Menschen im Gefängnis zu besuchen, ist nicht nur als „karitativer Akt“ zu den „Werken der Barmherzigkeit“ zu zählen (Hungrige speisen, Durstigen zu trinken geben, Fremde beherbergen, Nackte kleiden, Kranke pflegen, Gefangene besuchen, Tote bestatten), sondern wird als reales Sein und Erfahrung der Christusbegegnung qualifiziert, womit also – wie es bereits Karl Rahner 1956 formuliert hat – eine reale Begegnung mit dem Gottessohn und keinesfalls nur eine „großartige himmlische Fiktion“ gemeint ist, so „als ob“ wir Christus in den Gefangenen begegnen könnten. In Rahners Worten: „Jesus verwirft unseren ganzen Realismus als unwirklich. Er identifiziert sich nicht in einer juridischen Fiktion mit diesen Menschen, sondern so, dass wir in aller Wahrheit ihm in diesen Menschen begegnen.“9 Welche Konsequenzen zieht das nach sich?
Ich habe nicht den Eindruck, dass diesem theologischen und kirchenamtlichen Anspruch in der pastoralen Wirklichkeit ausreichend Rechnung getragen würde, wenn es darum geht, den Bereich der Gefangenenpastoral (entsprechend etwa der nachhaltiger geförderten Pastoral für Kranke, Migranten oder auch für Seeleute) als zentrales pastorales Anliegen der Kirche zu begreifen und adäquat – und das heißt meiner Meinung nach entsprechend zentral von Rom aus – zu strukturieren.10 Gerade die Ortskirchen in Mittel- und Osteuropa, in diesen Fragen oft auf sich allein gestellt, werden die Umsetzung anderer pastoraler Anliegen manchmal höher einstufen, was allerdings wenig über ihre theologische „Rangfolge“ aussagen muss.
Eine entsprechende „Sorge um die Gefangenenseelsorge“, der man allzu oft nur ein pastorales Nischendasein einräumt (etwa im Schatten der Militärseelsorge oder gar der Polizeiseelsorge), wird als umso berechtigter erkannt, wenn man der theologischen Relevanz der Sache im Blick auf den einzelnen Menschen die kalte Statistik gegenüberstellt, hinter der sich das millionenfache Leid und die himmelschreiende Ungerechtigkeit gesellschaftlicher Ausgrenzung leicht verbergen lässt und hinter der der einzelne Mensch vollends verschwindet.11 Karl Rahners Ausführungen, die in unserem Zusammenhang von großer Wichtigkeit sind, helfen, den unbedingten Wert und die Würde der einzelnen Person im Auge zu behalten, und finden in den kirchenamtlichen Texten eine Bestätigung. Sie haben darüber hinaus auch noch 30 Jahre nach seinem Tod Bedeutung für das Selbstverständnis der Gefangenenpastoral und das damit verbundene Berufsbild des Gefangenenseelsorgers. Sie erschöpft sich nicht in bloßer Sozial- oder Projektarbeit, sondern findet ihr theologisches Proprium dort, wo sie den Menschen vermittelt, dem Gefangenen trotz aller „schicksalsbedingten Abläufe aus … Vererbung, Erziehung, Milieu, verborgener Krankheit, Psychopathologien, ja selbst noch hindurch durch wahre wirkliche Schuld … wirklich mit ehrfürchtiger Demut zu begegnen, die eigentlich uns in uns selbst auch keine höhere Würde und heiligere Berufung erkennen lassen kann, als sie in diesem anderen ist“.12
Der Blick auf den Gefangenen „mit den Augen der Barmherzigkeit“ drückt mehr aus als nur bloßes Mitleid oder ein altruistisches Interesse und macht frei, Christus selbst in den Gefangenen wahrhaftig zu erkennen, mit denen er bekanntlich am Ende seines irdischen Lebens das Schicksal von Inhaftierung, Verurteilung und Vollstreckung der Strafe geteilt hat (Lk 23,39-43). Die darstellende Kunst hat dieses Motiv immer wieder aufgegriffen und gibt uns Hinweise zu theologischen Unterscheidungen, die auch die emotional geführte Debatte um „Opfer und Täter“ versachlichen kann. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen.
Die Perspektive der „Täter“
In der Justizvollzugsanstalt Celle erinnert das Bronze-Standkreuz von Ingeborg Steinohrt an das Geschehen der Kreuzigung Christi und zeigt in einer Art Gitterfenster einige Motive aus der Passionsgeschichte.13
Die Künstlerin nimmt hier gewissermaßen eine „Täterperspektive“ ein. Das Erlösungsgeschehen gilt dem „Verbrecher“, dessen Schuld der Gottessohn sühnt. Die vom Kreuzesbalken zum Segen gelöste Hand versinnbildlicht diesen Gedanken. Der Gekreuzigte identifiziert sich, wie es Papst Franziskus formuliert, mit den Gefangenen und „lehrte, dass die Barmherzigkeit ihnen gegenüber der Schlüssel zum Himmelreich ist (vgl. Mt 25,35 f.)“.14 Entsprechend dieser Lehre könnte es für manchen zu einem eigenen „Schlüsselerlebnis“ kommen, wenn der Ruf nach „Rache und Vergeltung“, der viele Bereiche des Lebens bestimmt und im Bereich des Strafvollzugs besonders laut wird, auch und gerade unter Christen weniger laut wäre als die Stimmen, die sich für mehr Barmherzigkeit mit den Betroffenen und für gerechtere Verhältnisse in der Gesellschaft einsetzen. Dann würde nicht erst „im Himmel“, sondern bereits „auf Erden“ so manche Tür aufgehen, hinter denen Menschen „im Namen des Volkes“ weggeschlossen werden, denen nicht selten die Chance auf ein menschenwürdiges Leben in Freiheit verwehrt wurde und die nicht weniger als andere das Vaterunser mit der Bitte um Vergebung der Schuld gebetet haben.15
Schon Benedikt XVI. hat die Verpflichtung der Kirche zur kritischen Aufmerksamkeit denjenigen Institutionen gegenüber unterstrichen, die sich zu wenig um gerechte und menschenwürdige Bedingungen im Bereich der Strafverfahren und des Strafvollzugs kümmern.16 Seine Gedanken enthalten wichtige Unterscheidungen, über die auch die „Perspektive der Opfer“ deutlicher in den Blick kommt, die in unserem Zusammenhang nicht nur am Rande genannt werden darf. Benedikt fordert die richterliche Unabhängigkeit im Bereich der Rechtsordnungen und des Strafvollzugs, „um die Gerechtigkeit wieder herzustellen und die Schuldigen zu resozialisieren“. Er hält es für geboten, „die Fälle von Justizirrtum, Misshandlungen von Gefangenen und jede Anwendung von Gesetzen auszuschließen, welche die Menschenrechte missachten, so wie auch alle Inhaftierungen zu vermeiden, die viel zu spät oder niemals in einem Strafverfahren enden“. Hier wird deutlich, dass die Perspektive der „Täter“ und die Perspektive der „Opfer“ nicht immer klar zu trennen sind. Der Papst macht „die Verantwortlichen der Gesellschaft aufmerksam, alles nur mögliche zu tun, die Todesstrafe abzuschaffen und das Strafsystem zu reformieren, damit die Menschenwürde des Gefangenen respektiert“ werde. Der Gefangenenpastoral sei die Aufgabe anvertraut, die Bedingungen für eine „Gerechtigkeit, die wiederherstellt und heilt“ (giustizia restitutiva) „zu studieren und sie als Mittel und Verfahren zu Gunsten von Versöhnung, Gerechtigkeit und Frieden anzuwenden und damit die Reintegration der Opfer und Täter in die Gesellschaft zu fördern“. An dieser Stelle wird eine vermittelnde Sichtweise möglich und man kann dem häufig erhobenen Vorwurf begegnen, der „Situation der Täter“ werde „auf Kosten der Opfer“ zu viel Aufmerksamkeit geschenkt.17
In der Justizvollzugsanstalt Celle erinnert das Bronze-Standkreuz von Ingeborg Steinohrt an das Geschehen der Kreuzigung Christi und zeigt in einer Art Gitterfenster einige Motive aus der Passionsgeschichte.13
Die Künstlerin nimmt hier gewissermaßen eine „Täterperspektive“ ein. Das Erlösungsgeschehen gilt dem „Verbrecher“, dessen Schuld der Gottessohn sühnt. Die vom Kreuzesbalken zum Segen gelöste Hand versinnbildlicht diesen Gedanken. Der Gekreuzigte identifiziert sich, wie es Papst Franziskus formuliert, mit den Gefangenen und „lehrte, dass die Barmherzigkeit ihnen gegenüber der Schlüssel zum Himmelreich ist (vgl. Mt 25,35 f.)“.14 Entsprechend dieser Lehre könnte es für manchen zu einem eigenen „Schlüsselerlebnis“ kommen, wenn der Ruf nach „Rache und Vergeltung“, der viele Bereiche des Lebens bestimmt und im Bereich des Strafvollzugs besonders laut wird, auch und gerade unter Christen weniger laut wäre als die Stimmen, die sich für mehr Barmherzigkeit mit den Betroffenen und für gerechtere Verhältnisse in der Gesellschaft einsetzen. Dann würde nicht erst „im Himmel“, sondern bereits „auf Erden“ so manche Tür aufgehen, hinter denen Menschen „im Namen des Volkes“ weggeschlossen werden, denen nicht selten die Chance auf ein menschenwürdiges Leben in Freiheit verwehrt wurde und die nicht weniger als andere das Vaterunser mit der Bitte um Vergebung der Schuld gebetet haben.15
Schon Benedikt XVI. hat die Verpflichtung der Kirche zur kritischen Aufmerksamkeit denjenigen Institutionen gegenüber unterstrichen, die sich zu wenig um gerechte und menschenwürdige Bedingungen im Bereich der Strafverfahren und des Strafvollzugs kümmern.16 Seine Gedanken enthalten wichtige Unterscheidungen, über die auch die „Perspektive der Opfer“ deutlicher in den Blick kommt, die in unserem Zusammenhang nicht nur am Rande genannt werden darf. Benedikt fordert die richterliche Unabhängigkeit im Bereich der Rechtsordnungen und des Strafvollzugs, „um die Gerechtigkeit wieder herzustellen und die Schuldigen zu resozialisieren“. Er hält es für geboten, „die Fälle von Justizirrtum, Misshandlungen von Gefangenen und jede Anwendung von Gesetzen auszuschließen, welche die Menschenrechte missachten, so wie auch alle Inhaftierungen zu vermeiden, die viel zu spät oder niemals in einem Strafverfahren enden“. Hier wird deutlich, dass die Perspektive der „Täter“ und die Perspektive der „Opfer“ nicht immer klar zu trennen sind. Der Papst macht „die Verantwortlichen der Gesellschaft aufmerksam, alles nur mögliche zu tun, die Todesstrafe abzuschaffen und das Strafsystem zu reformieren, damit die Menschenwürde des Gefangenen respektiert“ werde. Der Gefangenenpastoral sei die Aufgabe anvertraut, die Bedingungen für eine „Gerechtigkeit, die wiederherstellt und heilt“ (giustizia restitutiva) „zu studieren und sie als Mittel und Verfahren zu Gunsten von Versöhnung, Gerechtigkeit und Frieden anzuwenden und damit die Reintegration der Opfer und Täter in die Gesellschaft zu fördern“. An dieser Stelle wird eine vermittelnde Sichtweise möglich und man kann dem häufig erhobenen Vorwurf begegnen, der „Situation der Täter“ werde „auf Kosten der Opfer“ zu viel Aufmerksamkeit geschenkt.17
Die Perspektive der Opfer
Mit dem Einwand, man müsse „mehr an die Opfer denken“ – den man allerdings relativ häufig besonders von den unmittelbar nicht beteiligten Personen hört –, muss sich die Gefangenenpastoral intensiv auseinandersetzen, wobei zu dieser Auseinandersetzung auch der Hinweis gehört, dass dieser Einwand allzu oft „auf Kosten von Opfern und Tätern“ instrumentalisiert wird – gerade im Bereich einer Presse, die voyeuristische Tendenzen bedient, oder im Dunstkreis von Politikern, die ihr „Herz“ für die Opfer nur periodisch vor den Wahlen entdecken. Abgesehen von der fallweise gegebenen Anwendbarkeit des Begriffs „Opfer“ auch für die mit dem Wort „Täter“ bezeichnete Gruppe von Menschen in Haft ist doch die negative Situation und das Leiden eines Einzelnen aus dieser Gruppe nicht zu verrechnen mit den Nachteilen und leidvollen Erfahrungen, die das Opfer einer Straftat zu erdulden hat, und deren Ausmaß, wenn man etwa an die Angehörigen der Opfer von Tötungsdelikten oder an den Bereich der Sexualstraftaten denkt, das Vorstellungsvermögen nicht betroffener Personen übersteigt. Wer wollte oder dürfte das bezweifeln?
Gegen die Auffassung einer naturalistischen Anthropologie kann es jedoch keine „Null-Risiko-Gesellschaft“ geben. Prägnanter als mit den Worten der deutschen Bischöfe kann man das in diesem Zusammenhang nicht zusammenfassen: „Die damit verbundene Vorstellung, dass es besser ist, zehn Menschen hinter Gitter zu bringen, die dort nicht hingehören, als einen in Freiheit zu lassen, der möglicherweise (wieder) zum Straftäter wird, steht im … Gegensatz zum Gedanken der Gerechtigkeit als zentralem Maßstab christlicher Praxis.“18 Beide Seiten – die Seite der Opfer und die der Täter – sind schwer voneinander abzugrenzen und bedürfen einer eigenen Würdigung. Den Menschen im Gefängnis kann es nicht zum Vorwurf gemacht werden, wenn die Gesetze, die eine rechtskonforme und menschenwürdige Behandlung aller Menschen einfordern (und zwar auch derer, in deren Taten zuweilen in brutalster Weise die eklatante Missachtung eben der Würde und der Rechte anderer Menschen deutlich wird), auch für sie gelten, während entsprechende Gesetze und Regelungen – sofern es sie überhaupt gibt (etwa der prozessualen Begleitung und therapeutischen Unterstützung der Opfer von Straftaten) – außer Acht gelassen werden und die Fürsorgepflicht der staatlichen Seite privaten oder kirchlichen Initiativen überlassen wird. Die Abscheu vor der Tat setzt nicht das Personsein und Menschsein des „Täters“ außer Kraft, auch seine „unantastbare Würde“, in der (wie bei jedem anderen Menschen auch) nach christlichem Verständnis „jeder Mensch vor Gott er selbst ist, sein Bild und sein Gleichnis“19: ein Menschenbild und Gottesbild, das letzten Endes die Abscheu vor der Tat nicht kleiner macht, der definitiven Ächtung und Ausgrenzung einer Person oder gar ganzen Personengruppe jedoch den Riegel vorschiebt.
Papst Johannes Paul II. hat es in seinem „Schreiben in die Gefängnisse der Welt“ aus dem Jahr 2000 nicht bei einem dringenden „Appell an die Regierenden“ belassen, sondern konkret vorgeschlagen, „die Wiedereingliederung der Häftlinge durch ihre Einbeziehung in Projekte der Solidarität und Nächstenliebe zu beschleunigen“.20 Nachdem ich bereits seit meinem Dienstbeginn im Celler Gefängnis 1989 mit langzeitinhaftierten Personen das Projekt „Kunst im Gefängnis“ als kreative Rehabilitationsmaßnahme und auch als eine sinnvolle „Vermittlungsinstanz der Frohen Botschaft“ im Bereich der Gottesdienste21 schätzen gelernt hatte, wurde dieser Vorschlag im Bereich der Anstaltsseelsorge und zwar in kollegialer Zusammenarbeit mit Menschen von „drinnen und draußen“ konkretisiert. Dafür, dass dieses Projekt in den letzten sechs Jahren im Kontext des inzwischen über Deutschland hinaus bekannten gemeinnützigen Vereins Art and Prison e. V.22 Aufmerksamkeit und Anerkennung findet und Begegnungen von Menschen von „drinnen und draußen“ ermöglicht, bin ich um so dankbarer, als diese Begegnungen nicht nur über die Präsentation der Kunstwerke geschehen23, sondern auch zu zahlreichen persönlichen Kontakten und Besuchen bei Gefangenen selbst und zur Festigung dieser Kontakte nach der Entlassung führen.
Die „Besuche im Gefängnis“, denen dieses Projekt unter Einbeziehung der Häftlinge in nunmehr über 30 Ländern dient, waren und sind bislang in keinem Fall vergeblich gewesen und scheinen nach meinen eigenen Erfahrungen in der „Welt hinter Gittern“, die ich hier geschildert und reflektiert habe, für den Besucher – und dazu rechne ich mich auch – einen nicht weniger großen Nutzen gehabt zu haben als für den Besuchten selbst (Mt 25,36-46).
Mit dem Einwand, man müsse „mehr an die Opfer denken“ – den man allerdings relativ häufig besonders von den unmittelbar nicht beteiligten Personen hört –, muss sich die Gefangenenpastoral intensiv auseinandersetzen, wobei zu dieser Auseinandersetzung auch der Hinweis gehört, dass dieser Einwand allzu oft „auf Kosten von Opfern und Tätern“ instrumentalisiert wird – gerade im Bereich einer Presse, die voyeuristische Tendenzen bedient, oder im Dunstkreis von Politikern, die ihr „Herz“ für die Opfer nur periodisch vor den Wahlen entdecken. Abgesehen von der fallweise gegebenen Anwendbarkeit des Begriffs „Opfer“ auch für die mit dem Wort „Täter“ bezeichnete Gruppe von Menschen in Haft ist doch die negative Situation und das Leiden eines Einzelnen aus dieser Gruppe nicht zu verrechnen mit den Nachteilen und leidvollen Erfahrungen, die das Opfer einer Straftat zu erdulden hat, und deren Ausmaß, wenn man etwa an die Angehörigen der Opfer von Tötungsdelikten oder an den Bereich der Sexualstraftaten denkt, das Vorstellungsvermögen nicht betroffener Personen übersteigt. Wer wollte oder dürfte das bezweifeln?
Gegen die Auffassung einer naturalistischen Anthropologie kann es jedoch keine „Null-Risiko-Gesellschaft“ geben. Prägnanter als mit den Worten der deutschen Bischöfe kann man das in diesem Zusammenhang nicht zusammenfassen: „Die damit verbundene Vorstellung, dass es besser ist, zehn Menschen hinter Gitter zu bringen, die dort nicht hingehören, als einen in Freiheit zu lassen, der möglicherweise (wieder) zum Straftäter wird, steht im … Gegensatz zum Gedanken der Gerechtigkeit als zentralem Maßstab christlicher Praxis.“18 Beide Seiten – die Seite der Opfer und die der Täter – sind schwer voneinander abzugrenzen und bedürfen einer eigenen Würdigung. Den Menschen im Gefängnis kann es nicht zum Vorwurf gemacht werden, wenn die Gesetze, die eine rechtskonforme und menschenwürdige Behandlung aller Menschen einfordern (und zwar auch derer, in deren Taten zuweilen in brutalster Weise die eklatante Missachtung eben der Würde und der Rechte anderer Menschen deutlich wird), auch für sie gelten, während entsprechende Gesetze und Regelungen – sofern es sie überhaupt gibt (etwa der prozessualen Begleitung und therapeutischen Unterstützung der Opfer von Straftaten) – außer Acht gelassen werden und die Fürsorgepflicht der staatlichen Seite privaten oder kirchlichen Initiativen überlassen wird. Die Abscheu vor der Tat setzt nicht das Personsein und Menschsein des „Täters“ außer Kraft, auch seine „unantastbare Würde“, in der (wie bei jedem anderen Menschen auch) nach christlichem Verständnis „jeder Mensch vor Gott er selbst ist, sein Bild und sein Gleichnis“19: ein Menschenbild und Gottesbild, das letzten Endes die Abscheu vor der Tat nicht kleiner macht, der definitiven Ächtung und Ausgrenzung einer Person oder gar ganzen Personengruppe jedoch den Riegel vorschiebt.
Papst Johannes Paul II. hat es in seinem „Schreiben in die Gefängnisse der Welt“ aus dem Jahr 2000 nicht bei einem dringenden „Appell an die Regierenden“ belassen, sondern konkret vorgeschlagen, „die Wiedereingliederung der Häftlinge durch ihre Einbeziehung in Projekte der Solidarität und Nächstenliebe zu beschleunigen“.20 Nachdem ich bereits seit meinem Dienstbeginn im Celler Gefängnis 1989 mit langzeitinhaftierten Personen das Projekt „Kunst im Gefängnis“ als kreative Rehabilitationsmaßnahme und auch als eine sinnvolle „Vermittlungsinstanz der Frohen Botschaft“ im Bereich der Gottesdienste21 schätzen gelernt hatte, wurde dieser Vorschlag im Bereich der Anstaltsseelsorge und zwar in kollegialer Zusammenarbeit mit Menschen von „drinnen und draußen“ konkretisiert. Dafür, dass dieses Projekt in den letzten sechs Jahren im Kontext des inzwischen über Deutschland hinaus bekannten gemeinnützigen Vereins Art and Prison e. V.22 Aufmerksamkeit und Anerkennung findet und Begegnungen von Menschen von „drinnen und draußen“ ermöglicht, bin ich um so dankbarer, als diese Begegnungen nicht nur über die Präsentation der Kunstwerke geschehen23, sondern auch zu zahlreichen persönlichen Kontakten und Besuchen bei Gefangenen selbst und zur Festigung dieser Kontakte nach der Entlassung führen.
Die „Besuche im Gefängnis“, denen dieses Projekt unter Einbeziehung der Häftlinge in nunmehr über 30 Ländern dient, waren und sind bislang in keinem Fall vergeblich gewesen und scheinen nach meinen eigenen Erfahrungen in der „Welt hinter Gittern“, die ich hier geschildert und reflektiert habe, für den Besucher – und dazu rechne ich mich auch – einen nicht weniger großen Nutzen gehabt zu haben als für den Besuchten selbst (Mt 25,36-46).
Fußnoten:
Hier wird der Begriff „Gefangenenpastoral“ (nicht „Gefängnisseelsorge“) verwendet, um deutlich zu machen, dass sich diese Pastoral zwar auf die Zeit des eigentlichen Strafvollzugs bezieht, aber weniger der Institution gilt als den inhaftierten Menschen selbst und auch Vorsorgemaßnahmen der Prävention sowie Bereiche der Straffälligenhilfe nach der Entlassung umfassen sollte, die pastorale Aufgabe der gesamten Kirche sind. ↩︎
Botschaft des Heiligen Vaters Johannes Paul II. zur „Feier des Jubiläums in den Gefängnissen“ vom 9. Juli 2000. Libreria Editrice Vaticana. Rom 2000, Nr. 3 und Nr. 7, S. 3-12, Zitate S. 5 und S. 10. Eine inhaltliche Analyse bei Peter Echtermeyer: Menschenwürde im Strafvollzug, Vortrag am 26. März 2001 beim „Katholischen Forum Niedersachsen“, auch in englischer Übersetzung unter http://www.ppc-europe.org (magisterium) (letzter Zugriff: 20.05.2014). ↩︎
Hierzu die im Internet mit freundlicher Genehmigung der Autoren veröffentlichten Vorträge: Johannes Beutler: Gedanken zur Gefangenenpastoral. Dublin 2003 (er stellt deren äußerst solide Basis in Schrift und Tradition heraus); die Frage im grundsätzlichen Kontext reflektiert Ulrich Hemel: The Secret of the First Stone. Dublin 2003; nachzulesen unter http://www.ppc-europe.org (area teológica) (letzter Zugriff: 20.05.2014). ↩︎
Eine Ausnahme bildet jedoch beispielsweise der Film „Vierzehn Tage lebenslänglich“ (1997) von Roland Suso Richter mit dem Schauspieler Michael Mendl (Bayerischer Filmpreis 1997). ↩︎
http://www.un.org/depts/german/menschenrechte/gefangene.pdf (letzter Zugriff: 20.05.2014). ↩︎
Die gesellschaftliche Eingliederung der Armen (= Nr. 186-216). In: Apostolisches Schreiben Evangelii Gaudium des Heiligen Vaters Papst Franziskus an die Bischöfe, an die Priester und Diakone, an die Personen Geweihten Lebens und an die christgläubigen Laien. Über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute. Libreria Editrice Vaticana. Rom 2013. Text in deutscher Sprache auch verfügbar unter http://w2.vatican.va/content/francesco/de/apost_exhortations/documents/papa-francesco_esortazione-ap_20131124_evangelii-gaudium.html (letzter Zugriff: 20.05.2014). ↩︎
Eine interessante historische Rückschau zu den Besuchen der Päpste bei Gefangenen in: Vatican Insider. La Stampa, 17.12.2011 (I papi in prigione); http://vaticaninsider.lastampa.it/inchieste-ed-interviste/dettaglio-articolo/articolo/papi-popes-papas-prigione-prison-prision-10885/ (letzter Zugriff: 20.05.2014). ↩︎
Discorso del Santo Padre Benedetto XVI. Rebibbia, Domenica 18 dicembre 2011. Libreria Editrice Vaticana 2011. Vgl. http://www.ppc-europe.org (magisterium) (letzter Zugriff: 20.05.2014). Siehe außerdem Evangelii Gaudium (wie Anm. 6), Nr. 197. ↩︎
Karl Rahner: Gefängnisseelsorge. In: Sendung und Gnade, Innsbruck 1956, S. 451-467, hier S. 455 f. ↩︎
Wesentliche Impulse zur Verwirklichung dieses gesamtkirchlichen Anliegens gibt P. José Sesma León mit den „Leitlinien für die Gefangenenpastoral im dritten Jahrtausend“ (Grandes lineas de una pastoral penitenciaria para el tercer milenio. In: Obra Mercedaria 55/Nr. 226, Valencia 2001). Sie liegen bislang nur in spanischer Sprache vor. – Die Gefangenenpastoral ist danach etwas anderes als der Dienst einer „Kommission“ oder „Assoziation“ oder sonstigen Institution, welche ihr zuarbeiten; sie ist pastoraler Vollzug 11: Die Explosion der Gefangenenzahlen in den USA (2013 sind allein dort 2,3 Millionen Menschen inhaftiert, d. h. 0,7 Prozent der Gesamtbevölkerung) entspricht einer Steigerungsrate von 400 Prozent in den letzten 25 Jahren. Das ist durch einen Anstieg der Kriminalitätsrate sicherlich nicht zu erklären. Leidtragende Familienangehörige vermehrfachen die Zahl der betroffenen Menschen. Die US-amerikanische Bischofskonferenz hat eine Dokumentation erstellt, die in pastoraler Absicht die Entwicklung dieser Situation reflektiert: Responsibility, Rehabilitation, and Restoration: A Catholic Perspective on Crime and Criminal Justice. A Statement of the Catholic Bishops of the United States. 15. November 2000. ↩︎
Die Explosion der Gefangenenzahlen in den USA (2013 sind allein dort 2,3 Millionen Menschen inhaftiert, d. h. 0,7 Prozent der Gesamtbevölkerung) entspricht einer Steigerungsrate von 400 Prozent in den letzten 25 Jahren. Das ist durch einen Anstieg der Kriminalitätsrate sicherlich nicht zu erklären. Leidtragende Familienangehörige vermehrfachen die Zahl der betroffenen Menschen. Die US-amerikanische Bischofskonferenz hat eine Dokumentation erstellt, die in pastoraler Absicht die Entwicklung dieser Situation reflektiert: Responsibility, Rehabilitation, and Restoration: A Catholic Perspective on Crime and Criminal Justice. A Statement of the Catholic Bishops of the United States. 15. November 2000. ↩︎ ↩︎
Rahner (wie Anm. 9), S. 459. ↩︎
Über vier Gitterfenstern (darin Maria, die Mutter Jesu, mit Johannes, dem Jünger Jesu, zwischen zwei Wachleuten; darunter Petrus, der seinen Verrat bereut, Pilatus, der seine Hände in Unschuld wäscht, der knieende Hauptmann, der die Gottessohnschaft Jesu bekennt, und die Magd, deren Zeigefinger auf Petrus gerichtet ist), in denen wir uns wie in einem Spiegel betrachten können, hängt der Gekreuzigte zwischen zwei Männern, die mitgekreuzigt wurden und von denen einer bekanntlich bereut und gebeten hat: „Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst“ (Lk 23,42). Jesu Hand, zum Segen ausgestreckt, so stellt es die Künstlerin dar, ist vom Kreuzesbalken gelöst und gibt Jesu Zusage ihr volles Gewicht: „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein“ (Lk 23,43). ↩︎
Vgl. Evangelii Gaudium (wie Anm. 6), Nr. 197. ↩︎
Die Kirche hält an der Schuldfähigkeit bzw. der verantwortlichen Selbstbestimmung des Einzelnen fest. Das „schließt aber nicht aus, dass es gesellschaftliche Strukturen gibt, die den Menschen in eine Mittäterschaft hineinziehen, so dass die Grenzen zwischen persönlicher Schuld und gemeinschaftlicher Mitschuld fließend werden können“. In: Denkt an die Gefangenen, als wäret ihr mitgefangen (Heb 13,3). Der Auftrag der Kirche im Gefängnis. (Die deutschen Bischöfe, Nr. 84. Hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz). Bonn 2006, S. 32. ↩︎
Papst Benedikt XVI.: Esortazione apostolica postsinodale Africae munus del santo padre Benedetto XVI. all’episcopato, al clero, alle persone consacrate e ai fedeli laici sulla chiesa in Africa al servizio della riconciliazione, della giustizia e della pace. Libreria Editrice Vaticana. Rom 2011, Nr. 83. Text in deutscher Sprache auch unter http://www.vatican.va/holy_father/benedict_xvi/apost_exhortations/documents/hf_ben-xvi_exh_20111119_africae-munus_ge.html (letzter Zugriff: 20.05.2014) (daraus auch die folgenden Zitate). ↩︎
Vgl. Rainer Stuhlmann: Auf die Täter fixiert. In: Zeitzeichen 4/2011, S. 35-37 („Als Anwalt an der Seite der Opfer tritt Christus den Tätern als deren Richter gegenüber. Er zieht sie zur Verantwortung, indem er sie mit den Opfern ihrer Taten konfrontiert“; ebd. 36). Vgl. die Diskussion im Internet: http://www.scilogs.de/hinter-gruende/der-gekreuzigte-und-die-vergessenen-opfer-der-theologie/ (letzter Zugriff: 20.05.2014). ↩︎
„Welche Herausforderungen damit verbunden sein können, kommt drastisch am Fall von Sexualstraftätern und der Frage möglicher Rückfälligkeit zur Geltung. Die Vergegenwärtigung jener Einzelperspektiven, die der Einebnung in standardisierte Lösungsmechanismen widersteht und die Person des Täters in den Blick nimmt, gehört zu den Grundaufgaben der Gefängnispastoral. Nicht zuletzt kommt dazu die kritische Wortmeldung gegen die Ritualisierungen mancher Medien, die schuldig gewordenen zu dämonisieren und damit politisch brisante Stimmungen zu wecken.“ So in: Die deutschen Bischöfe (wie Anm. 15), S. 32. ↩︎
Botschaft (wie. Anm. 2), Nr. 3, S. 5; vgl. außerdem Echtermeyer (wie Anm. 2), S. 1 f. ↩︎
Botschaft (wie Anm. 2), Nr. 7, S. 10-12. ↩︎
So ist beispielsweise der Kreuzweg in der Anstaltskirche das Werk eines Inhaftierten, der mehr als zwei Jahrzehnte seines Lebens auf der Sicherheitsstation in Einzelhaft verbracht hat. ↩︎
Dies wäre ohne das Engagement der Berliner Künstlerin Cornelia Harmel nicht möglich, die inzwischen mehr als zehn Ausstellungen betreut hat, darunter Veranstaltungen in der Zitadelle Spandau (2012), im Bundesministerium der Justiz (Berlin 2013) und auch im Freisinger „Alten Gefängnis“ (Ende 2013) in Kooperation mit Renovabis, dem Kardinal-Döpfner-Haus und der Gefangenenpastoral Albaniens. Ein Katalog zu diesen Veranstaltungen liegt vor. Anfang 2015 wird eine Ausstellung in Rom stattfinden, die von einigen Orden und Kongregationen unterstützt werden wird (Thema: „Ein halber Quadratmeter Freiheit“). – Der Katalog, erschienen unter dem Titel „Von Licht und Dunkel. Bilder aus der Haft.“, Berlin 2012, enthält auch farbige Reproduktionen der im vorliegenden Heft aufgenommenen Werke von Inhaftierten sowie zahlreiche weitere Motive. ↩︎
https://www.owep.de/artikel/688-mit-dem-blick-barmherzigkeit© 2024 Renovabis
Hier wird der Begriff „Gefangenenpastoral“ (nicht „Gefängnisseelsorge“) verwendet, um deutlich zu machen, dass sich diese Pastoral zwar auf die Zeit des eigentlichen Strafvollzugs bezieht, aber weniger der Institution gilt als den inhaftierten Menschen selbst und auch Vorsorgemaßnahmen der Prävention sowie Bereiche der Straffälligenhilfe nach der Entlassung umfassen sollte, die pastorale Aufgabe der gesamten Kirche sind. ↩︎
Botschaft des Heiligen Vaters Johannes Paul II. zur „Feier des Jubiläums in den Gefängnissen“ vom 9. Juli 2000. Libreria Editrice Vaticana. Rom 2000, Nr. 3 und Nr. 7, S. 3-12, Zitate S. 5 und S. 10. Eine inhaltliche Analyse bei Peter Echtermeyer: Menschenwürde im Strafvollzug, Vortrag am 26. März 2001 beim „Katholischen Forum Niedersachsen“, auch in englischer Übersetzung unter http://www.ppc-europe.org (magisterium) (letzter Zugriff: 20.05.2014). ↩︎
Hierzu die im Internet mit freundlicher Genehmigung der Autoren veröffentlichten Vorträge: Johannes Beutler: Gedanken zur Gefangenenpastoral. Dublin 2003 (er stellt deren äußerst solide Basis in Schrift und Tradition heraus); die Frage im grundsätzlichen Kontext reflektiert Ulrich Hemel: The Secret of the First Stone. Dublin 2003; nachzulesen unter http://www.ppc-europe.org (area teológica) (letzter Zugriff: 20.05.2014). ↩︎
Eine Ausnahme bildet jedoch beispielsweise der Film „Vierzehn Tage lebenslänglich“ (1997) von Roland Suso Richter mit dem Schauspieler Michael Mendl (Bayerischer Filmpreis 1997). ↩︎
http://www.un.org/depts/german/menschenrechte/gefangene.pdf (letzter Zugriff: 20.05.2014). ↩︎
Die gesellschaftliche Eingliederung der Armen (= Nr. 186-216). In: Apostolisches Schreiben Evangelii Gaudium des Heiligen Vaters Papst Franziskus an die Bischöfe, an die Priester und Diakone, an die Personen Geweihten Lebens und an die christgläubigen Laien. Über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute. Libreria Editrice Vaticana. Rom 2013. Text in deutscher Sprache auch verfügbar unter http://w2.vatican.va/content/francesco/de/apost_exhortations/documents/papa-francesco_esortazione-ap_20131124_evangelii-gaudium.html (letzter Zugriff: 20.05.2014). ↩︎
Eine interessante historische Rückschau zu den Besuchen der Päpste bei Gefangenen in: Vatican Insider. La Stampa, 17.12.2011 (I papi in prigione); http://vaticaninsider.lastampa.it/inchieste-ed-interviste/dettaglio-articolo/articolo/papi-popes-papas-prigione-prison-prision-10885/ (letzter Zugriff: 20.05.2014). ↩︎
Discorso del Santo Padre Benedetto XVI. Rebibbia, Domenica 18 dicembre 2011. Libreria Editrice Vaticana 2011. Vgl. http://www.ppc-europe.org (magisterium) (letzter Zugriff: 20.05.2014). Siehe außerdem Evangelii Gaudium (wie Anm. 6), Nr. 197. ↩︎
Karl Rahner: Gefängnisseelsorge. In: Sendung und Gnade, Innsbruck 1956, S. 451-467, hier S. 455 f. ↩︎
Wesentliche Impulse zur Verwirklichung dieses gesamtkirchlichen Anliegens gibt P. José Sesma León mit den „Leitlinien für die Gefangenenpastoral im dritten Jahrtausend“ (Grandes lineas de una pastoral penitenciaria para el tercer milenio. In: Obra Mercedaria 55/Nr. 226, Valencia 2001). Sie liegen bislang nur in spanischer Sprache vor. – Die Gefangenenpastoral ist danach etwas anderes als der Dienst einer „Kommission“ oder „Assoziation“ oder sonstigen Institution, welche ihr zuarbeiten; sie ist pastoraler Vollzug 11: Die Explosion der Gefangenenzahlen in den USA (2013 sind allein dort 2,3 Millionen Menschen inhaftiert, d. h. 0,7 Prozent der Gesamtbevölkerung) entspricht einer Steigerungsrate von 400 Prozent in den letzten 25 Jahren. Das ist durch einen Anstieg der Kriminalitätsrate sicherlich nicht zu erklären. Leidtragende Familienangehörige vermehrfachen die Zahl der betroffenen Menschen. Die US-amerikanische Bischofskonferenz hat eine Dokumentation erstellt, die in pastoraler Absicht die Entwicklung dieser Situation reflektiert: Responsibility, Rehabilitation, and Restoration: A Catholic Perspective on Crime and Criminal Justice. A Statement of the Catholic Bishops of the United States. 15. November 2000. ↩︎
Die Explosion der Gefangenenzahlen in den USA (2013 sind allein dort 2,3 Millionen Menschen inhaftiert, d. h. 0,7 Prozent der Gesamtbevölkerung) entspricht einer Steigerungsrate von 400 Prozent in den letzten 25 Jahren. Das ist durch einen Anstieg der Kriminalitätsrate sicherlich nicht zu erklären. Leidtragende Familienangehörige vermehrfachen die Zahl der betroffenen Menschen. Die US-amerikanische Bischofskonferenz hat eine Dokumentation erstellt, die in pastoraler Absicht die Entwicklung dieser Situation reflektiert: Responsibility, Rehabilitation, and Restoration: A Catholic Perspective on Crime and Criminal Justice. A Statement of the Catholic Bishops of the United States. 15. November 2000. ↩︎ ↩︎
Rahner (wie Anm. 9), S. 459. ↩︎
Über vier Gitterfenstern (darin Maria, die Mutter Jesu, mit Johannes, dem Jünger Jesu, zwischen zwei Wachleuten; darunter Petrus, der seinen Verrat bereut, Pilatus, der seine Hände in Unschuld wäscht, der knieende Hauptmann, der die Gottessohnschaft Jesu bekennt, und die Magd, deren Zeigefinger auf Petrus gerichtet ist), in denen wir uns wie in einem Spiegel betrachten können, hängt der Gekreuzigte zwischen zwei Männern, die mitgekreuzigt wurden und von denen einer bekanntlich bereut und gebeten hat: „Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst“ (Lk 23,42). Jesu Hand, zum Segen ausgestreckt, so stellt es die Künstlerin dar, ist vom Kreuzesbalken gelöst und gibt Jesu Zusage ihr volles Gewicht: „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein“ (Lk 23,43). ↩︎
Vgl. Evangelii Gaudium (wie Anm. 6), Nr. 197. ↩︎
Die Kirche hält an der Schuldfähigkeit bzw. der verantwortlichen Selbstbestimmung des Einzelnen fest. Das „schließt aber nicht aus, dass es gesellschaftliche Strukturen gibt, die den Menschen in eine Mittäterschaft hineinziehen, so dass die Grenzen zwischen persönlicher Schuld und gemeinschaftlicher Mitschuld fließend werden können“. In: Denkt an die Gefangenen, als wäret ihr mitgefangen (Heb 13,3). Der Auftrag der Kirche im Gefängnis. (Die deutschen Bischöfe, Nr. 84. Hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz). Bonn 2006, S. 32. ↩︎
Papst Benedikt XVI.: Esortazione apostolica postsinodale Africae munus del santo padre Benedetto XVI. all’episcopato, al clero, alle persone consacrate e ai fedeli laici sulla chiesa in Africa al servizio della riconciliazione, della giustizia e della pace. Libreria Editrice Vaticana. Rom 2011, Nr. 83. Text in deutscher Sprache auch unter http://www.vatican.va/holy_father/benedict_xvi/apost_exhortations/documents/hf_ben-xvi_exh_20111119_africae-munus_ge.html (letzter Zugriff: 20.05.2014) (daraus auch die folgenden Zitate). ↩︎
Vgl. Rainer Stuhlmann: Auf die Täter fixiert. In: Zeitzeichen 4/2011, S. 35-37 („Als Anwalt an der Seite der Opfer tritt Christus den Tätern als deren Richter gegenüber. Er zieht sie zur Verantwortung, indem er sie mit den Opfern ihrer Taten konfrontiert“; ebd. 36). Vgl. die Diskussion im Internet: http://www.scilogs.de/hinter-gruende/der-gekreuzigte-und-die-vergessenen-opfer-der-theologie/ (letzter Zugriff: 20.05.2014). ↩︎
„Welche Herausforderungen damit verbunden sein können, kommt drastisch am Fall von Sexualstraftätern und der Frage möglicher Rückfälligkeit zur Geltung. Die Vergegenwärtigung jener Einzelperspektiven, die der Einebnung in standardisierte Lösungsmechanismen widersteht und die Person des Täters in den Blick nimmt, gehört zu den Grundaufgaben der Gefängnispastoral. Nicht zuletzt kommt dazu die kritische Wortmeldung gegen die Ritualisierungen mancher Medien, die schuldig gewordenen zu dämonisieren und damit politisch brisante Stimmungen zu wecken.“ So in: Die deutschen Bischöfe (wie Anm. 15), S. 32. ↩︎
Botschaft (wie. Anm. 2), Nr. 3, S. 5; vgl. außerdem Echtermeyer (wie Anm. 2), S. 1 f. ↩︎
Botschaft (wie Anm. 2), Nr. 7, S. 10-12. ↩︎
So ist beispielsweise der Kreuzweg in der Anstaltskirche das Werk eines Inhaftierten, der mehr als zwei Jahrzehnte seines Lebens auf der Sicherheitsstation in Einzelhaft verbracht hat. ↩︎
Dies wäre ohne das Engagement der Berliner Künstlerin Cornelia Harmel nicht möglich, die inzwischen mehr als zehn Ausstellungen betreut hat, darunter Veranstaltungen in der Zitadelle Spandau (2012), im Bundesministerium der Justiz (Berlin 2013) und auch im Freisinger „Alten Gefängnis“ (Ende 2013) in Kooperation mit Renovabis, dem Kardinal-Döpfner-Haus und der Gefangenenpastoral Albaniens. Ein Katalog zu diesen Veranstaltungen liegt vor. Anfang 2015 wird eine Ausstellung in Rom stattfinden, die von einigen Orden und Kongregationen unterstützt werden wird (Thema: „Ein halber Quadratmeter Freiheit“). – Der Katalog, erschienen unter dem Titel „Von Licht und Dunkel. Bilder aus der Haft.“, Berlin 2012, enthält auch farbige Reproduktionen der im vorliegenden Heft aufgenommenen Werke von Inhaftierten sowie zahlreiche weitere Motive. ↩︎
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